Mainwanderfahrt im Jahr 1949

Im Jahr 1939 begann für mich der Paddelsport. Die Eltern eines Freundes hatten ein elegantes Boot aus Holz. Da wir perfekt Schwimmen konnten, durften wir auf dem Main in Lichtenfels paddeln. Damals war ich schon Gast im Ruderverein Lichtenfels, dessen Vorsitzender ich 1971 werden sollte.

Die Erzählungen der "Alten" über ihre Fahrten auf verschiedenen Flüssen mit ihren Faltbooten haben schon damals den Wunsch geweckt, auch einmal in die Welt hinauszupaddeln. Es mussten aber noch zehn Jahre vergehen, bis dieses Verlangen erfüllt werden konnte. Der Krieg mit seinem schrecklichen Ende hat alles verzögert. Die meisten Boote wurden durch Randale zerstört.

Sehr geräumig

1947 lernte ich beim Fasching ein Mädchen kennen. Sie erzählte mir, dass ihr Vater ein Faltboot besitzt, das sie benutzen darf. Damals interessierte mich zuerst einmal das Boot. Wir trafen uns oft, und es entstand eine enge Freundschaft, die 1956 zur Ehe führte.

1949 haben sich drei Bootsbesatzungen gefunden, die eine Wandertour auf dem Main von unserem Bootshaus aus bis Aschaffenburg unternehmen wollten. Die Ausrüstung zu dieser Zeit entsprach keinesfalls dem, was man heute hat. Unser Boot war ein Klepper-Faltboot Baujahr 1922. Vorteil war, dass es sehr geräumig war. Bei hohem Wellengang hat es sich den Wellen angeglichen.

Zelt aus Planen

Das Zelt hat die Oma aus alten Planen, die vom Krieg übriggeblieben waren, zusammengenäht. Luftmatratzen oder Isomatten gab es nicht. Als Unterlage wurden Getreidegarben verwendet. Also immer an der richtigen Stelle zelten. Schlafsäcke waren da.

Am 31. Juli 1949 starteten wir. Leider war es ein Jahr mit wenig Wasser. Die Fahrt von Lichtenfels bis Kemmern war ein Wechsel von Paddeln und Fußmarsch. Oft mussten wir die Boote anheben, um über die Untiefen hinweg zu kommen. Heute ist das Befahren des Mains bei einem solch geringen Wasserstand verboten.

Blechmanschette

Wehre hatten wir glücklicherweise nur zwei. Nach neun Kilometern kam das erste. Damals kein Problem. Das Bootshebewerk Hausen war noch im Betrieb (es wurde etwa 1956 stillgelegt). Ganz einfach, nur einfahren, absenken und unten wieder ausfahren. Immer ein Boot nach dem anderen.

Unterwegs ging unglücklicherweise ein Paddel zu Bruch, und das auch noch am Sonntag. In Kemmern fand sich aber ein Klempner, der mit einer Blechmanschette geholfen hat. Nur wurde das Paddel etwas schwerer.

Spritzwasser

Nach insgesamt 50 km erreichten wir die erste Staustufe in Viereth. Mit einem Transportwagen konnte das Hindernis überwunden werden. Von da ab hatten wir freie Fahrt. An vielen schönen, malerischen Orten kamen wir vorbei. Die Strömung war gut, so dass wir uns nicht zu sehr anstrengen mussten. Zeil, Obertheres und Mainburg, Orte mit schönen alten Bauten, luden zum Verweilen ein.

Nach 98 km erreichten wir Schweinfurt. Dort mussten wir mühevoll das Wehr überwinden: Die Boote mussten über das Wehr getragen werden. Unterhalb des Wehrs angekommen, erreichte uns die nächste Überraschung. Alles Abwasser wurde in den Main geleitet. Der Vordermann (die Vorderfrau) durfte trotz starken Gegenwinds, bis wir die Kloake hinter uns hatten, nicht paddeln. Man kann sich leicht vorstellen, wo das Spritzwasser angekommen wäre. Aber das konnte einen richtigen Kanuten nicht erschüttern.

Alles Gute kommt von oben

Die nächste Strecke bis Würzburg betrug 81 km und wies keinerlei Hindernisse auf. Durch abwechslungsreiche Landschaft mit Obst-, Gemüse- und Weinanbau ging die Fahrt. Besonders beeindruckt waren wir von der Hochwassermarke am Stadttor zu Frickenhausen. Diese war höher als die in Marktbreit noch bestehende alte Stadtmauer. Zum Paddeln wäre das etwas zu viel Wasser gewesen.

Die Staustufe Randersacker war im Bau, freie Durchfahrt war noch möglich. Das Wetter und die Strömung waren bestens.

Zwei kleine Begebenheiten am Rande blieben in Erinnerung: Da war einmal ein kurzes, aber sehr heftiges Gewitter. Wir suchten in Volkach unter der Brücke Schutz und hielten uns am Pfeiler fest. Über die Brücke fuhren damals neben Zügen und Autos noch Pferde- und Ochsengespanne. Wir waren genau unter einem Auslauf der Straßenentwässerung. „Alles Gute kommt von oben", heißt es doch. Diesmal stimmte es nicht. Wir haben es überstanden ...

Most mit Folgen

Damals war auf dem Main noch Floßbetrieb. Wegen des Niederwassers waren fast keine Flöße unterwegs. Was es aber noch gab, das waren zahlreiche Gastwirtschaften an den Ufern. Die besuchten wir natürlich. In Sommerach kehrten wir bei großer Hitze ein. Der Durst war ungeheuer. Die Wirtin bot uns Most an. Wir dachten, das wäre nur ein Saft. Was wussten wir von den Geheimnissen der Getränke in der Weingegend! Die Folgen des etwas hastigen Trinkens zeigten sich beim Besteigen der Boote. Wir konnten eine unserer Begleiterinnen gerade am Einsteigen in ein nicht vorhandenes Boot hindern. Es war dann noch sehr lustig.

An einem der Tage eröffnete unser Senior (33 Jahre alt), dass es heute das erste Starkbier nach dem Krieg geben wird. Wir hatten in Marktbreit gezeltet. Außer seiner Braut und mir ging keiner mit ihm zur Bierprobe. Die anderen hatte die Sonne etwas zu stark erwischt. Auf die Frage der Bedienung bestellte mein Freund eine Maß Bier. Ich sagte in Unkenntnis der Folgen: "Das Gleiche." Als dann die Gefäße kamen, war ich über die Größe etwas erstaunt. Aber ich schaffte die Menge. Nur auf dem Heimweg zu den Zelten soll ich sehr laut und falsch gesungen haben. Da wir wie immer etwas außerhalb gezeltet hatten, gab es keine Probleme mit den Einwohnern.

Schleppzüge

Nach einer eintägigen Pause ging es von Würzburg aus weiter. Ab hier erwarteten uns einige Dinge, die wir nicht kannten. Zum Ersten: wo war die bisher immer gute Strömung? Zum Zweiten: neben uns Paddlern gab es noch größere Kähne und sogar Schleppzüge. Und dann waren noch in nicht zu großen Abständen Kraftwerke mit Wehren. Die „Paddler vom Obermain“ mussten sich an einiges bisher Unbekanntes gewöhnen. Aber es hat gut geklappt.

Die Wehre waren kein Problem, begeistert waren wir von den Kahnschleusen. Die fehlende Strömung zwang uns dazu, etwas zur Ertüchtigung zu tun. Beim Schiffsverkehr mussten wir eben aufpassen. Die Fahrt von Würzburg nach Aschaffenburg war ohne Probleme zu schaffen.

344 km

Selbstverständlich sind wir an vielen Orten an Land gegangen und haben uns die alten, schönen Weinorte angesehen. Kannten wir doch nichts von dieser Gegend. Auf dem letzten Abschnitt trafen wir auch auf Paddler aus anderen Gegenden. Eine Gruppe aus Wiesbaden haben wir bei unserer Rheinfahrt 1950 besucht.

Nach nicht ganz zwei Wochen und 344 km paddeln traten wir, schwer bepackt, von Aschaffenburg die Heimfahrt mit dem Zug an.

Seit dieser Zeit habe ich noch viele andere Flüsse mit meiner Frau (damalige Begleiterin) befahren. Doch diese Tour kann ich wohl nie vergessen, ich habe mir einen Traum erfüllt, den ich als zehnjähriger Junge hatte.

Wegen den Reglementierungen auf dem Obermain, dem starken Schiffsverkehr und auch den veränderten Verhältnissen an den Ufern und den Verbauungen kann eine Tour nie mehr so schön wie damals sein.

Text + Fotos: Lothar Krautheim

Infos zu Lothar Krautheim siehe "Persönlichkeiten"

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