Meine erste Vereins-Wildwasserfahrt 1948 auf der Wiesent
Ich wurde nicht nur leidenschaftlicher Kanuslalom-Wettkämpfer, sondern auch Wildwasser- und Wanderfahrer und ein Mensch, der später jahrzehntelang die Freude an den Natursportarten Kajak, Ski fahren sowie Bergwandern an viele Jugendliche und Erwachsene weitergab.
Es war ja Aufbauzeit, auch bei den Naturfreunden Erlangen, so wurden einige deutsche Militärbaracken ab- und als neues Bootshaus und Vereinsheim wieder aufgebaut. Wir hatten neben dem Sport eine sinnvolle Aufgabe mit guter Jugendbetreuung, die über das wirre Nachkriegsgeschehen hinweghalf.
Sorgfalt und Reinigung
Bei den selbst gebauten Holzkajaks, die uns leihweise von den Erwachsenen für das Slalomtraining überlassen wurden, war Sorgfalt und Reinigung nach dem Training erste Priorität. Kein Sandkörnchen durfte im Inneren des Bootes sein, damit nicht durch Aufscheuern der Lackschicht Holzfäulnis entstehen konnte. Es war eine Sache der Disziplin, die wir alle noch gut kannten.
Der Slalom, so sagte unser Trainer Albert Niersberger, ist die Vorstufe für die Bootsbeherrschung auf den Alpenwildwässern, die uns ja leider noch weit entfernt waren. Die Wiesent in der Fränkischen Schweiz war für die Franken das nahe Wildwasser, und so kam für mich die erste Wildwasser-Vereinsfahrt an einem sonnigen Sonntag.
Natürlich musste vorher unser Trainer Albert meine Mutter beruhigen und zusichern, dass dem wertvollen Einzelkind nicht zustößt. Das altersschwache Holzkajak, das ich bekam, musste ich vorher reparieren.
Zugwagen mit Bierbänken
Die guten Paddel waren für die Anfänger wie mich zu schade. Deshalb baute ich mein eigenes original Eskimopaddel, dem Bewunderung und Gelächter gezollt wurde.
Ein mit Holzgas angetriebener Lastwagen (von der Firma Siemens) mit Hänger fuhr an diesem Sonntagmorgen ins Vereinsgelände (Benzin gab es nur für Geschäftsleute, außerdem war es viel zu teuer). In den Hänger wurden die Kajaks sowie die zerlegten Faltboote aufgeladen. Der Zugwagen war mit Bierbänken ausgestattet, auf denen wir schwankend in langsamer Fahrt Richtung Doos fuhren.
Es war das Jahr, in dem die Reichsmark eingestampft und das neue Geld mit 40,- Deutschen Mark pro Kopf (20. Juni 1948) verteilt wurde: Die Währungsreform mit dem Wunder „Schaufenster fülle dich“ war über Nacht geschehen. Aber das Preisverhältnis war bei den meisten Waren nicht gerecht, und so blieb am Anfang nur die Schaufensteransicht. Bei der Fahrt war dies das Gesprächsthema und die Sorge, wie es mit der DM weitergeht.
Schmerzensschreie
Bei der Ankunft wurde abgeladen und gleich mit den DM-teuren dicken Wurst- und Speckbroten lachend und schmatzend Brotzeit gemacht. Es war ein Filmamateur mit 16 mm Schwarz-Weiß-Filmen dabei, der die schlanken, schmalgesichtigen, beidseitig kauenden Menschen im Film verewigte. Ich hatte das Glück, diesen Film dann zu bekommen, der das Zeitgeschehen bei Vereinsvorführungen dokumentierte.
Nach der Stärkung begannen wir, die Einer- und Zweierfaltboote aufzubauen. Gegenseitige Hilfe war dabei oft nötig, wenn z. B. etwas vertauscht worden war oder eine Flügelmutter ins Gras fiel, die selbst Adleraugen nicht mehr fanden.
Auch Schmerzensschreie waren zu hören, wenn sich die Finger zwischen den Spanten einzwickten, so dass eine Blutblase zum Vorschein kam.
Schlangenartig
Für alle technischen Probleme war unser Trainer und Abteilungsleiter Albert zuständig. Er hatte das Wissen und auch Ersatzteile parat. Nachdem alle startklar waren, kam die Stunde der Kajakfahrer.
In Doos gab es die schwierigste Stelle, die „Kaskaden“ bzw. den „Katarakt“, den ich mit Herzklopfen beäugte. Albert erklärte die Durchfahrt, indem er ein Holzstück ins Wasser warf, das – von der Strömung erfasst – schlangenartig nach unten schwamm.
„Es ist ganz einfach“, sagte er, „wenn man sich an die Strömungswege hält.“ Ich schluckte ein paar Mal und schaute mir den ersten Fahrer an. Er holperte über die vordersten Steine und fuhr dann rasant die Strömungszunge entlang. Der Applaus war ihm sicher.
Unter Hochspannung
Nachdem es die Experten alle geschafft hatten und ich – als Elektriker würde man sagen: unter Hochspannung stand, fuhr ich dann auch die „Schwierigkeitsstufe VI“, wie ich fand.
Es ging gut und ich kam wieder auf „Normalspannung“. Ich war glücklich, aber etwas fühlte ich: Das Wildwasser wird mich nicht mehr loslassen ...
Albert gab das allgemeine Startzeichen, was mit Lachen und Jodlerrufen losging. Die Wiesent ist ein Flüsschen, das der berühmte Schriftsteller Herbert Rittlinger damals als die „Perle Europas“ beschrieb. Sie fließt durch eines der schönsten Täler der Fränkischen Schweiz. Das Wasser ist klar und selbst im Hochsommer ziemlich kühl.
Petri Heil
Die kleinen Kurven mit Schwallstücken waren damals für uns Eskimos die Übungsstellen für Dreh- (heute Kehr-)wasserfahren und Eskimotieren. Heute ist nur das Geradeausfahren erlaubt, damit keine Wasserverwirbelung mit dem Paddel am Uferrand entsteht. Es würde die Ökologie „Fisch und Pflanzen“ stören.
Bei unserer fröhlichen Fahrt wurde gesungen und Naturkunde betrieben. Dem Angler riefen wir ein „Petri Heil“ zu, zurück kam meist ein mürrisches „Petri Dank“. Albert sagte, es wäre für den Angler ärgerlich, dass er jetzt mindestens zehn Minuten auf seinen Fisch warten müsste, der sich versteckt hatte.
Es gab einmal einen Angler, erzählte er, der mit seiner Fangrute nach den Paddler schlug. Dieser musste dann aber ein Bad in der Wiesent nehmen und seine Forellen unter Wasser betrachten. Zum Glück ist so etwas selten, denn die meisten Angler verstehen auch die Paddler als Menschen, die aus den Fabriken und der Stadt in die Natur hinaus wollen. Heute ist es zeitlich geregelt, sodass jeder seinen Sport bzw. sein Hobby ausüben kann.
Gnadenlos abgetrieben
Am Sachsenwehr kam dann eine ca. zwei Meter hohe schräge Betonrutsche, die unterhalb höchstens 50 cm Wassertiefe hatte. Her fahren die Könner halb schräg nach unten, wo sie fast quer im Unterwasser aufsetzen. Da hatte mich mein Mut verlassen, obwohl die vier Mutigen es als kinderleicht erklärten. Das Sachsenwehr ist noch heute eine Attraktion, die viele Zuschauer anzieht. Selbst Reisebusse bleiben kurz stehen, um den Fahrgästen das Schauspiel zu zeigen.
Es käme noch ein schwierigerer Teil, sagten sie: das Naturwehr (kleine, rechtwinklige Gefällstufe). Man fahre am rechten Uferrand entlang, um die Kurve zu bekommen, die sie als Ideallinie bezeichneten. Wer zu langsam reagierte, würde gnadenlos abgetrieben und somit über viele Steine nach unten befördert.
Gastgeschenk
Ich hatte einen schlechten Vorfahrer, denn er steuerte die Steine an, was meinem älteren Kajak nicht gut bekam. Das Rumpeln und Knirschen im Unterschiff sagte mir nichts Gutes. Das Wiesentwasser hatte jetzt nicht nur über die undichte Spritzdecke, sondern auch von unten seinen Weg zu meinem Körper gefunden. Es war zum Glück nicht schlimm, aber mit viel Bootsentleeren und Kälte verbunden.
Nachdem es keine weiteren Schäden gab, waren viele froh und stolz auf ihr Fahrkönnen. Albert übernahm wieder die Führung und erklärte mir während der Fahrt, auf was ein Kajakfahrer achten muss, z. B. bei Brücken, Wehren, Mühlen, Pflöcken oder Eisenteilen im Wasser.
Beim Umtragen bzw. Umsetzen des Bootes darf man keine Wiesen beschädigen, wenn sie als Futter gebraucht werden, denn „das bringt den Landwirt zur Weißglut“. Das Auf- und Abbauen ist auf Brachland oder an abgemähter Wiesen durchzuführen, das gilt auch für die Zelte. Am besten fragt man den Eigentümer, was manchmal mit dem Gastgeschenk „Bier“ kein Problem macht.
Benimmregeln
Das Hässlichste, was ein Bootsfahrer und Zelter anstellen kann, ist, den Abfall oder Unordnung zu hinterlassen, denn der nächste wird es zu spüren bekommen. Es gab noch einige Benimmregeln wie: Nicht mit der Badehose in das Gasthaus gehen (außer im Notfall), sondern im Trainingsanzug (damals Sportbekleidung).
Albert gab noch viele Tipps zum Naturschutz, und ich erlebte, wie er als guter Kanu-Lehrmeister sowie Organisator eine Bootsrettung abwickelte. Ein Holzbrückenpfeiler wurde einem Zweier-Faltboot zum Verhängnis. Sie konnten sich nicht auf die Brückendurchfahrt einigen, und so kam es, dass sich das Boot quer zur Brücke stellte.
Um den Pfeiler gewickelt
Aus vielen Kehlen kamen Schreckensschreie und der Ruf „Aussteigen!“, was das Pärchen auch gleich machte. Das Boot drehte sich dabei mit der Öffnung nach oben, so dass die Strömung in des Boot drückte, das dabei krachend um den Pfeiler gewickelt wurde.
Zum Glück war die Kenterstelle nicht tief, und so standen die beiden Gekenterten, sich am Boot haltend, im Wasser. Wir landeten alle an, sicherten unsere Boote und liefen barfuß zur Unglücksstelle. Schnell gab Albert seine Anweisungen zur Rettung (damals sprach man von Kriegserfahrung): Erst den Kleidersack, Bootswagen und sonstige Utensilien aus dem Boot ziehen.
Die Kuh
Wir standen mit der Badehose im kalten Wasser, was ehrlich gesagt nach einiger Zeit das männliche Körperteil auf Schrumpfgröße brachte. Diese Rettungsaktion gab mir zu denken: So ungefährlich ist dieser Sport nicht. Am besten werde ich es meiner Mutter als harmlosen Umkipper erzählen.
Dann: Alle Mann auf eine Seite und auf Kommando die Bootshälfte aus dem Wasser heben. Es war aber zu schwer, auch konnten wir barfüßig nicht richtig stehen, und so gaben wir vorerst auf.
Während der Aufwärmphase haben sich einige Kanufrauen anderweitig umgesehen und dabei einen Gras mähenden Bauern mit seinem Kuhgespann entdeckt. Sie waren sofort einer Meinung: Die Kuh müsste es schaffen!
Erfahrung gefragt
Der Bauer war hilfsbereit und spannte seine Kuh vom Wagen. Sämtliche Bootsleinen und Wagenketten kamen zum Einsatz. Nachdem die halbe Bootsseite eingewickelt war, kam Kuni, die Kuh, zu ihrer ersten Bootsrettung. Mit „Hüh“-Rufen begann das Schauspiel. Das Bootsteil bewegte sich, was mit Knacklauten verbunden war.
Kuni schaffte es und zog das Boot auf die Wiese, wo es begutachtet wurde. Einige Spanten sowie das Gestänge waren gebrochen, aber die Bootshaut hatte es überstanden. Jetzt war Albert mit seiner Erfahrung gefragt. Er arbeitete mit abgeschnittenen Weidenhölzern, Klebeband und Schnüren, um das Holzgerüst zu stabilisieren.
Ich musste schwimmen
In der Zwischenzeit bekam Kuni ihre Streicheleinheiten und der Bauer sein Trinkgeld für ein Bier. Man packte wieder ein, beruhigte das streitende Ehepaar, das dann trotz Bootswunden wieder lachen konnte. In meiner späteren Faltbootzeit habe ich noch viele Bootsbrüche erlebt, die ich nach Alberts System reparierte.
Die Wanderfahrt ging bis Streitberg weiter. Kurz vor dem Ziel war ein Mühlen-Stauwehr von etwa einem Meter Höhe. Ich ließ mich überreden, es zu fahren, was meinen unterkühlten Korpus noch kälter machte, denn ich musste schwimmen.
Später habe ich begriffen, warum es immer weniger Holzkajakfahrer wurden. Der Transport mit der Bahn war schwierig und das viele Nass-Sitzen führte zu Krankheiten. 1953 kaufte ich mein erstes Klepper-Slalomboot, das bei Wanderfahrten viel gesünder war.
Gut temperiert
Der Boots-Abbau wurde dann wieder gemeinschaftlich getätigt, obwohl schon eine dabei kauten. Unser Kraftfahrer schürte seinen Holzvergaser mit klein gehacktem Birkenholz, das umgewandelt seinen Gastank füllte. Dieser zylindrische Tank war hinter dem Führerhaus im Eck des Sitzabteiles. Gut temperiert wärmte es dann endlich das empfindlichste Mannes-Körperteil, indem ich ihn umarmte, bis sich Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten.
Wir fuhren gemütlich zurück. Im Wagen sorgte das Erlebte erregte Debatten. Elli, Alberts Frau, stimmte das Frankenlied an, das wir alle aus voller Kehle sangen.
Es kamen noch viele schöne Vereinsfahrten, aber keine war mehr von der Urigkeit sowie unbändigen Lebensfreude nach einer überstandenen bösen Zeit.
Text + Fotos: Heinz Sachs, Erlangen
Über den Autor siehe www.kanugeschichte-bayern.de/Persoenlichkeiten/Bedeutende-Persoenlichkeiten/Bedeutende-Persoenlichkeiten-News/52/Heinz-Sachs/