Paddler-Erzählungen aus der Zeit um 1958
Fritz, unser Organisator, der 1952 dem ATSV Erlangeangehörte und eine Kanugruppe führte, war nicht nur Konkurrent im Slalomwettkampf, sondern auch ein Freund, der uns Erlanger Naturfreunde-Champions mit anfeuerte, wenn es um den Fränkischen Meistertitel ging.
Er war eine Ausnahmeerscheinung unter den Paddlern. Stets lautstark, allwissend und immer schuldlos, wenn der sportliche Erfolg ausblieb. Fritz hatte auch viel Geld zur Verfügung, denn seine reiche Tante erfüllte ihm jeden Wunsch. Die neuesten Faltboot- und Holzkajaktypen hatte er immer parat, und manchmal war sein Hochmut nicht auszuhalten.
Für uns Normalverdiener war es eine Herausforderung, ihn zu einem Tarockspiel einzuladen, wohl wissend, dass er es leidenschaftlich spielte. Es ging eigentlich nur darum, das Geld für einen Westernfilm im Kino zu erspielen Damals 2,00 Mark auf dem so genannten Rasierplatz − das war die erste Reihe − und man musste eine leichte Genickstarre in Kauf nehmen. Wenn Fritz 6,00 Mark verloren hatte, wurde das Spiel beendet. Wir bezahlten ihm natürlich das Kino.
Der Deichselhirsch dabei
Aber zurück zur Mainfahrt. Norbert und Erich hatten beide ein Zweier-Faltboot, in dem Rudi und Heinz Platz fanden. Dieter fuhr in einem WW-Pionier-Einer und Fritz in dem neuesten österreichischen Geze-Leichtfaltboot, welches mit dünnen Dreikantstäben und einer Dreischichtenhaut schon in die Kategorie Rennboot fiel. Alles wurde für die Bahnfahrt verpackt und auf die Bootswagen geladen. Die schweren teilbaren Holzpaddel, die heute ein junger Paddler nur im äußersten Notfall verwenden würde, wurden zur Wagensteuerung auf den Packsack gebunden.
Mit Mutters Segen und Verpflegung, die unserem Wunsch entsprechend aus einem Laib Brot, genügend Butter, selbst gemachter Marmelade, Backsteinkäse (Limburger) und einem großen Ring Pferdewurst, die paprikascharf jedem schmeckte, bestand. Diese Wurst wurde damals von den Experten als "Deichselhirsch" bezeichnet. Geld für eine warme Abendmahlzeit und Frühstück − geschätzt ca. 10,00 DM/Tag (ohne Wein) − wurde kalkuliert.
Elvis, Bill Haley und Little Richard
Wegen der kühlen Nächte hatten wir auf Zeltausrüstung verzichtet. Vorschlag von Fritz: Wir nehmen ein Zimmer mit Doppelbett. Drei schlafen im Bett und drei auf Luftmatratzen. Unsere Bedenken, ob die Wirtsleute da mitmachen, fegte Fritz mit dem Satz „Das ist kein Problem“ weg. Heinz packte seine Gitarre ein, denn abends mussten doch zum guten Frankenwein die alten deutschen Wanderlieder gesungen werden.
Aber auch von Elvis, Bill Haley oder Little Richard wurden viele bekannte Ami-Songs geschmettert. Der Rock'n Roll und Boogie Woogie waren für uns junge Leute das Höchste. Die Mädchen wurden mit ihren Petticoats durch die Luft gewirbelt, dass die Bandscheiben und Muskelstränge nahe an die Belastungsgrenze kamen.
Saure Miene
Fritz hatte einen Jugendleiterausweis von der Stadt Erlangen, der bei Gruppen ab sechs Personen eine ermäßigte Bahnfahrt vorsah. Leider hat sich ein Fehler eingeschlichen, der uns bei der Heimreise in arge Bedrängnis brachte, aber davon später.
Am Bahnhof wurden wir allgemein bewundert, denn wir waren ja Ausnahmesportler, die sich wie Mulis abschleppten. Der Gepäckwagenschaffner machte eine saure Miene, denn sein Wagen war schon mit vielen Fahrrädern beladen. Plötzlich veränderte er sein Gesicht, er wurde freundlich. Fritz hatte ihm sicher ein kleines Trinkgeld zugesteckt.
Die Bahnfahrt war nicht langweilig, man hatte Zeit, sich zu unterhalten über Wettkämpfe, die im Jahresprogramm standen, sowie Wanderfahrten auf Regnitz, Wiesent, Donau und Isar (damals immer mit der Eisenbahn). Heinz erzählte eine Episode von seinem Freund Fritz, wie sie zu Dreien eine Wiesentfahrt in der Fränkischen Schweiz unternahmen, die schon etwas tragisch begann.
Heinz, erstmalig Fränkischer Slalommeister, musste natürlich in Doos an den Kaskaden sein Können unter Beweis stellen. Er machte es wie eine Forelle und paddelte die Kaskaden wieder aufwärts, wobei man flink um einen Stein in der Strömung wenden musste, denn sonst gab es Spantenbruch. Fritz trainierte mit, und so kam es, dass er das Wendemanöver zu früh ansetzte und − oh Schreck − das schöne Geze-Leichtboot quer und krachend um den Stein gewickelt wurde. Er sprang, wie von einer Tarantel gebissen, aus dem Boot, stand am Ufer; machte keinen Finger krumm und übergoss mich mit den schlimmsten Beschimpfungen. Ich fühlte mich unschuldig und versuchte, ihn zu beruhigen. Aber vergebens.
Sofort begannen Freund Heiner (der uns bewundernd zusah) und ich mit der Bergung. Nachdem ich feststellte, dass nur die Leiter und Längsstäbe in der Mitte gebrochen waren, habe ich meine handwerkliche Überlegung mobilisiert und nach Schnur und passenden Ersatzstäben Ausschau gehalten, um es wie bei einem Beinbruch zu schienen. Fritz schrie in seiner Erregung: „Du kannst das Boot behalten, ich rühr' es nicht mehr an!“ Ich machte Heiner den Vorschlag, mit Fritz in das nahe Gasthaus zu gehen, bis ich das Boot wieder stabil hätte. Heiner versetzte inzwischen unseren Freund mit einer Maß Bier und Brotzeit in andere Stimmung.
Wie ein junger Gott
In der Nähe war ein großer Wäscheplatz, wo Stangen und Leine vorhanden waren. Genau das Richtige für meine Reparatur. Ich machte mich schnell an die Arbeit und schnürte das Gebrochene mit dem gefundenen Material zusammen. Das Boot war nach der Fertigstellung zwar etwas schwerer, dafür aber viel stabiler.
Nun ging ich zum Gasthof. Von Weitem schon hörte ich Fritz lachen. Er hatte inzwischen schon die zweite Maß getrunken, und die Nachricht, sein Boot sei wieder flott, hat er mit Freude aufgenommen. Wir starteten und erlebten einen Kanufahrer, der durch den Alkoholkonsum wie ein junger Gott die Kaskaden, Sachsen- und Naturwehr rückwärts befuhr. Mit dieser Fahrkunst hätte er sämtliche Meisterschaften gewonnen.
Wer den Schaden hat ...
Inzwischen hat sich durch unser fröhliches Lachen das ganze Zugabteil in Zuhörer verwandelt, und man forderte uns auf, noch eine Kanugeschichte zu erzählen.
Jetzt konterte Fritz zurück und nahm mich auf die Schippe. Es war wieder auf unserem Hausbach Wiesent, und wir waren zu fünft. In Muggendorf wurden die Faltboote aufgebaut und über den Berg nach Doos gekarrt, was sehr gesund für die Beine, aber auch schweißtreibend war. In Doos stand unser Freund Erich mit seinem neuen Heinkel-Motorroller. Gerne hätten wir mit ihm getauscht. Er wurde verpflichtet, unser Gepäck samt Bootswägelchen auf seinem Fahrzeug bis zum Zielort Streitberg zu fahren.
Erich murrte etwas, denn er hoffte, ein Mädchen würde hinten aufsitzen. Die Boote waren leicht, und wir konnten uns voll im Wasser tummeln. Es war eine herrliche Fahrt. In Streitberg angekommen, wurde Erich von seiner Last befreit. Er hatte es plötzlich eilig, von uns wegzukommen. So kam es, dass er mit meinem Matchsack samt Geld und Rückfahrkarte verschwand. Ich schaute belämmert. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Im Boot verschwunden
Ich beschloss, ohne Fahrkarte nach Erlangen zu fahren, denn 4,00 DM für die Rückfahrt bedeuteten damals vier Stunden Arbeit. Fritz legte mir die Gepäckkarte (1,00 DM) für das Faltboot aus. Am Bahnhof gab es keine Schwierigkeiten, denn durch die vielen Fahrgäste war der Fahrkartenzwicker abgelenkt, so dass ich problemlos (über den Zaun) am Bahnsteig mit stehen konnte.
Wir sprachen uns ab: Wenn der Kontrolleur kommt, verschwinde ich in der Toilette, dreimal Klopfen heißt „Gefahr vorbei“. Es klappte immer, trotz mehrmaliger Kontrolle. Aber wie komme ich in Erlangen durch die Sperre? Damals musste man noch seine Fahrkarte als Beleg abgeben. Rudi machte den Vorschlag: „Du schlüpfst in Dein Boot, wir machen die Spritzdecke darüber; so dass kein Einblick möglich ist.“
Es gab keine andere Lösung, und ich verschwand ächzend wie ein Schlangenmensch in dem Boot. Sie schleppten mich zu Viert samt Bootswagen davon.
Angstschweiß
Ich begann zu schwitzen. War es Luftmangel oder Angstschweiß? Ich denke, beides. Ich hörte, wie der Bahnmeister sagte: „Das ist aber ein schweres Boot.“ „Jetzt ist es vorbei“, dachte ich, „Er interessiert sich bestimmt für die Innenkonstruktion.“ Fritz sagte, es sei ein Klepperboot, und die werden aus Eichenholz gebaut. Ich wurde gefahren und fühlte: „Jetzt bist Du durch!“ Man stellte das Boot ab, und ich musste warten. Zum Glück ist nicht aufgefallen, dass es fünf Boote und nur vier Personen waren. Man schob mich noch ein weiteres Stück die holprige Stadtmauerstraße runter. Ich bekam die Spannten schmerzlich zu spüren. Es war für meine Freunde der große Spaß, mich schwitzend und stöhnend aus dem Boot zu holen.
Fritz hat bei dieser Erzählung, seiner Natur entsprechend, maßlos übertrieben. Eine ältere Dame hob lächelnd den Finger und sagte: „Ihr seid ja richtige Lausejungs!“
Schwere Brocken
In Schweinfurt angekommen, trampten wir zum Main. Dort wurden die Boote aufgebaut. Die Utensilien stopften wir in den wasserdichten Metzelersack, der auch manchmal als Sitzunterlage diente. Die Einer-Fahrer gaben uns ihre schwersten Brocken, da die Zweier ja schneller sind. Der Pionier-Einer durfte ohne Gepäck fahren, denn er hatte null Kielsprung. Dieter schob auch fleißig seine Welle vor sich her.
Das Wetter war wechselhaft, meist kühl und manchmal mit Schneeschauern. Wir zogen unseren Klepper-Nanuk (Gummipaddeljacke) an, und los ging es. Die erste Stunde war Aufwärmphase und Training. Dann wurde es eine beschauliche Wanderfahrt.
Ein seltsamer Baum ließ uns rätseln. Er war ohne Blätter und hatte spitz nach oben stehende Aste. Beim Näherpaddeln erkannte Norbert, dass es viele Graureiher waren, die wahrscheinlich ihren Mittagsschlaf hielten. Rudi klatschte mit dem flachen Paddel in das Wasser. Der Schall klang wie ein Gewehrschuss. Sofort flogen sie auf und segelten vor uns über den Main, wobei doch einer eine weiße Flüssigkeit aus seinem Körper fallen ließ, die bis zum anderen Ufer reichte. Wir waren erstaunt über dieses Naturwunder, aber auch gleichzeitig erschrocken, denn wenn der Vogel später gestartet wäre, hätten wir eine Dusche abbekommen, welche nicht nach Veilchen gerochen hätte. Wir durchfuhren vorsichtig die fast zwei Meter breite Spur. Norbert sagte trocken: „Jetzt weiß ich, warum man sagt, da kannst Du sch... wie ein Reiher.“
Nur Ochsenaugen
Wir paddelten die Mainschleife entlang, an den berühmten Weinorten Volkach und Escherndorf vorbei nach Köhler, wo nach Aussage unserer älteren Wanderfahrer eine kanufreundliche Wirtin sei. Fritz managte die Übernachtung ohne Probleme. Nachdem alles verstaut war; wurde mit Streichhölzern ausgelost, wer in der Bettmitte schlafen musste. Wir gingen zum Abendessen und wussten, dass am Karfreitag nur Fisch, Käse, Eier oder Pfannkuchen auf der Speisekarte standen. Fritz wollte ein Schnitzel, aber die Wirtin verweigerte es. Wir überzeugten ihn, dass Fleischessen am Karfreitag schlimmer sei, als jemanden im Main zu ertränken. Der Paddlerhimmel ist dir für alle Ewigkeiten verschlossen. Er wurde einsichtig und verdrückte fünf Ochsenaugen mit Bratkartoffeln, auf gut Deutsch Spiegeleier.
Nach dem Essen fragte ich die Wirtin, ob wir mit der Gitarre spielen und singen dürften. Sie war einverstanden, und so sangen wir als Erstes das Frankenlied. Die Wirtschaft füllte sich langsam mit Gästen, denn der Dämmerschoppen ist in Unterfranken Tradition. Wo man Wein trinkt, da wird auch gerne gesungen. Es dauerte nicht lange, und die Wirtsstube war bis zum letzten Platz gefüllt. Alle stimmten in unseren Gesang mit ein, und der kühle Wein sprudelte aus den Krügen (Bembeln) in die Gläser der Sänger, was die Wirtin sichtlich erfreute. Sie meinte es gut mit dem Gitarrenspieler und füllte sein Glas immer wieder auf. Sie sagte, das gehe auf Kosten des Hauses.
Im Buch verewigt
Die Stimmung erreichte langsam ihren Höhepunkt. Ich fühlte, wie meine Zunge immer schwerer wurde und verschwand in unserer Schlafstube, wo ich den guten Wein aus dem Fenster von mir gab. Am anderen Morgen stand ich als Erster auf, um meine Weinbrocken zu beseitigen. Aber die Hühner samt Hahn waren mir zuvorgekommen. Es muss ein guter Tropfen gewesen sein, denn mein Kopf war frei von Schmerzen. Erich verewigte uns im Geschichtsbuch für Wassersportler, welches die Wirtin nur Gästen gab, die sie besonders mochte.
Nach einem herzlichen Abschied und dem Versprechen, wiederzukommen, schipperten wir weiter auf dem "Mee", wie die Unterfranken sagen. Die schöne Umgebung machte mich nachdenklich, denn dies war das Land meiner Väter. Warum sie wegzogen? Das liegt wohl am Schicksal.
Bratwurst am Meter
Der Abend in Albertshofen war wieder sangeslustig. Der Wirt füllte mein Weinglas, sobald es leer war, mit Freischoppen, welche ich aber kameradschaftlich aufteilte. Meine Freunde hatten bald mehr Stimmung als ich.
Wir paddelten weiter. Unser Ziel war Sulzfeld, wo wir den Versuch unternahmen, Bratwurst von einem Meter Länge zu essen. Die Ortschaft Sulzfeld ist ein Schmuckstück. Eingerahmt von Wehrmauern und Wachtürmen stehen in ihrem Inneren wunderbare Fachwerkhäuser und das für uns so verlockende Gasthaus, wo die Meterbratwürste für uns hungrige Paddler gebraten wurden. Schön aufgerollt auf dem Teller wurden sie serviert.
Fritz wollte es genau wissen. Er bat um ein Maßband denn: „Messen heißt wissen“. Der Wirt gab ihm gerne das Bratwurstmaßband. Nach dem restlosen Verzehr bekamen wir eine Urkunde mit Unterschrift des Wirtes. Wir schafften es alle und die Urkunde liegt noch heute in meinen Sportunterlagen.
30 Jahre später habe ich es noch einmal probiert, aber nach einem halben Meter war ich schon am Limit, obwohl mein Bauch um einiges größer geworden war.
Und jetzt?
Ein kalter Gegenwind machte uns zu schaffen, aber Sonnenschein und Bratwurstbauch ließ es uns nicht zu schwer fallen. Erich sprach: „In Winterhausen können wir umsonst schlafen, da habe ich Verwandte.“ Eine Schachtel Pralinen wurde schnell an der Hintertür eines Ladens gekauft und seiner lieben Tante übergeben, die uns gleich abfütterte und uns selbstverständlich ein Nachtlager gewährte. Sein Cousin sagte: „Ihr müsst Euch Sommerhausen auf der anderen Mainseite anschauen. Es hat viele Sehenswürdigkeiten, z. B. das berühmte Torturmtheater (einmalig in Deutschland).“ Wir fuhren geschlossen mit der Mainfähre hinüber, wo uns Andi alles zeigte. Es wurde dämmerig, und wir sahen, dass die Dorfjugend (besonders viele schöne Mädchen dabei) mit Reisigbündeln die Hauseingangstüren zubauten. Andi sagte, es wäre zu Ostern ein Brauch, den sich die Jugend erlaubte.
Angesprochen von den Mädchen, haben Rudi und Heinz gleich mitgeholfen. Wir hofften, durch unseren Fleiß auch ein Gute-Nacht-Küsschen zu erhaschen. Den anderen war das zu blöde, und sie fuhren zurück, ohne uns zu sagen, dass die letzte Fähre um 20 Uhr übersetzte. Seltsamerweise war der Spuk plötzlich zu Ende, und alle verschwanden in den Gässchen mit freundlichen Gute-Nacht-Wünschen. Enttäuscht machten wir uns auf den Weg zur Fähre, aber kein Mensch war zu sehen. Auf einem Schild stand, dass die nächste Abfahrt am nächsten Morgen um 8.00 Uhr wäre. Wir hofften, dass unsere Freunde einen Zweier für uns am Ufer abgestellt hätten, aber leider war nichts dergleichen zu sehen.
Schurken
„Diese boshaften Schurken!“ rief Rudi und drohte mit der Faust in Richtung Winterhausen. Ich sagte: „Wir müssen uns was überlegen.“ Schwimmen fiel aus wegen der Kälte. Die Fähre? War fest verankert! Die Rettung: Ein kleiner Kahn mit zwei Rudern war an der Fähre mit einer Kette und Schnappschloss befestigt. Nach fachlicher Prüfung sah ich, dass es ein billiges Schloss war, welches ich ohne Probleme mit zwei Steinen aufschlagen konnte.
Jetzt ruderten wir freudig über den Main. Die Strömung hatte uns weit abgetrieben. Ich die Kette über den Schultern und Rudi mit dem Ruder die Kahnspitze vom Ufer haltend, schleppten wir das Boot wie ein WoIgaschiffer nach oben. Es wurde am Fährsteg so gesichert, dass es der Fährmann sehen konnte. Im Quartier angekommen, waren die Boys schon lustig beim Wein. Unschuldsvoll meinten sie, wir würden bei den Mädchen schlafen.
Nachdem es bei uns Zweien ein Abenteuer war, das gut ausging, prosteten wir uns zu, und alles war wieder in Ordnung. Am anderen Tag gingen wir vor 8 Uhr zur Fähre und beichteten dem Fährmann unsere Not. Der war sehr verständnisvoll und erklärte, dass dies schon des Öfteren der Fall war und er deshalb ein billiges Schloss angebracht habe. Vier Mark war sein Preis. Wir gaben fünf und dankten ihm.
Zigeunerromantik
Ein freundlich warmes Wetter empfing uns am Morgen. Wir fuhren die letzten 13 km bis zu unserem Zielort Würzburg. Gemütlich und manchmal in einem Gruppenpaket treibend, erzählte ich von einer Donaufahrt, die ich mit dem Verein über Pfingsten erlebt hatte:
In Erlangen wurde ein Zugwaggon mit ca. 30 Faltbooten und einigen Holzkajaks am Rangierbahnhof beladen. Wir setzten uns in den Zug, der mit der Dampflok in Richtung Donauwörth losfuhr. Dort angekommen, gab es lange Gesichter, denn der Waggon mit den Booten stand noch in Nürnberg. Man hatte vergessen, ihn anzukuppeln. Nach drei Stunden kam er dann endlich an. Der unschuldige Bahnbeamte bekam einiges zu hören. Unterhalb von Ingolstadt wurde das zweite Mal gezeltet, damals noch in der freien Natur. Die Zigeunerromantik mit Lagerfeuer und Kochtopf ist mir unvergesslich.
Schockiert
Am Morgen waren die Mädels und einige Jungs besonders reinlich, sie wuschen sich an einem mit schönen Steinen ausgemauerten Bach, in welchem sie auch die Zähne putzten. Ein Kanufreund stellte fest, dass der schöne Bach der Auslauf einer Kläranlage war. Nach dieser Bekanntgabe waren die Superreinlichen sichtlich schockiert. Die Spötter erzählten von Krankheiten wie Haar- und Zahnausfall, und manche behaupteten, dass sie schon Gesichtsveränderungen bei einigen feststellten. Die Armen wurden lange gehänselt, bis sich ein Älterer erbarmte und die Spötter in die Schranken verwies.
In Regensburg angekommen, ging es in umgekehrter Reihenfolge wieder zum Zug. Als Erstes wurde eine Brotzeit im Zugabteil abgehalten. Die verschiedenen Gerüche wie Paddlerschweiß und überreifer Käse waren für die Zusteiger eine Zumutung. Die meisten verschwanden in den nächsten Wagen.
Die Fischdose
Ein Mädchen mit schneeweißem Trenchcoat setzte sich neben unseren schönen Gerhard, der etwas verlegen an einer Büchse mit Heringen in Tomatensoße hantierte. Es kam für ihn zu einer peinlichen Situation. Die Tomatensoße spritzte nach der Öffnung in einem Strahl auf den schneeweißen Mantel. Wir schauten alle entsetzt das Mädchen bzw. unseren Gerhard an. Er holte mit hochrotem Kopf sein Taschentuch aus der Hose und versuchte, das Malheur zu beseitigen. Es war vergebens. Nach der ca. zehnten Entschuldigung von Gerhard, sagte das liebe Mädchen, es sei nicht so schlimm. Ihre Eltern hätten ein Reinigungsgeschäft. Nachdem das Mädchen aus dem Zug gestiegen war, konnten wir nicht mehr an uns halten und lachten aus vollem Hals über das Missgeschick. Eines wussten wir aber mit Sicherheit: dass Gerhard keine Fischdose mehr in einem Zug öffnen würde.
Nach dieser Geschichte mussten wir uns konzentrieren, denn Würzburg kam schon in Sichtweite. Ein Flachwehr lag vor uns, das Dieter schon einmal befahren hatte. Es wurden die üblichen Fragen gestellt. Wie ist die Bauweise, z. B. Rücklauf oder Nägel, die unsere Boote aufschlitzen könnten. Dieter sagte, es seien Holzbohlen, und ein Nagel könnte schon vorhanden sein. Es wäre aber gut einzusehen.
Zum U-Boot mutiert
Fritz hatte eine Vorahnung und war für das Umtragen. Wir aber, faul wegen der umständlichen Schlepperei, ließen Dieter vorfahren, und wenn es gut ginge, würden wir in seinem Fahrwasser nachkommen. Er machte es souverän und wir ebenso, jedoch Fritz musste etwas abgewichen sein, und wir hörten ein Schnittgeräusch, welches jedem Faltbootfahrer das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er begriff, dass er jetzt paddeln musste wie ein Weltmeister, um das Ufer zu erreichen.
Wir schritten sofort zur Rettung, denn sein Boot versank nach einigen Metern bis zum Süllrand. Er blieb wie ein richtiger Kapitän in seinem Schiff sitzen. Ich glaubte schon, er würde am liebsten mit untergehen, oder er hielt sich strikt an das Badeverbot an Wehranlagen. Er war seltsam ruhig und in der Mitte der Zweierboote ließ er sich, am Süllrand haltend, an das Ufer manövrieren. Wir halfen zu entleeren und nach Begutachtung des Schadens waren wir uns einig, dass der Sattler mit einer Kreuznaht den Schlitz reparieren könne. Wir werden Fritz helfen, außen und innen einen Kielstreifen aufzukleben.
Gesetz ist Gesetz
Er sagte kein Wort, packte zusammen und karrte ab in Richtung Bahnhof. Wir merkten, dass er schwer beleidigt war und es besser sei, ihn gehen zu lassen Am Bahnhof angekommen, war Fritz sehr verlegen. Er erklärte uns, dass wir den vollen Preis für die Rückfahrkarte bezahlen müssten, weil eine Abstempelung der Bahn von Erlangen nicht auf der Bescheinigung war (ein Fehler des Erlanger Bahnbeamten). Wir legten alles Geld zusammen, was wir hatten, aber es fehlten noch 5,00 DM. Singen und betteln war ein Vorschlag. Jedoch gaben damals die Leute den Armen nur Pfennige, und so viel Zeit hatten wir nicht.
Geschlossen gingen wir zur Bahnobrigkeit, aber es half nichts − Gesetz ist Gesetz −, so sei es eben in Deutschland, erklärte er uns. Er schickte Fritz in die Bahnhofsmission, wo er die fehlende Summe erhielt. Natürlich nur mit Rückzahlungsgarantie. Wir waren gerettet, und unser eingeschnappter Fritz war wieder ansprechbar.
Heute denke ich noch gerne an die Zeit, in welcher wir zusammen mit unserem Sportfreund Fritz Kanufahrten erlebten. Beim Tarockspiel hat er uns natürlich durchschaut und uns öfter gewinnen lassen. Er musste beruflich in viele Erdteile fliegen, was uns leider sportlich trennte.
Noch zweimal machten wir die Osterfahrt, dann war die Junggesellenzeit vorbei.
Text + Fotos: Heinz Sachs, Erlangen
Über den Autor siehe www.kanugeschichte-bayern.de/Persoenlichkeiten/Bedeutende-Persoenlichkeiten/Bedeutende-Persoenlichkeiten-News/52/Heinz-Sachs/